
Nach dem 7. Oktober wurden vom israelischen Militär die Handschuhe ausgezogen, Ziele zum Bombardieren werden durch das KI-Programm Habsora ausgewählt, auch großer „Kollateralschaden“ wird in Kauf genommen.
Wie viele Hamas-Kämpfer bislang von den israelischen Streitkräften im Gazastreifen getötet wurden, ist nicht bekannt. Es heißt, bis zu 5000, andere sprechen eher von 1000-3000. Ob die Hamas-Kämpfer vom Gaza-Gesundheitsministerium von der Hamas-Regierung mit gezählt werden, weiß man auch nicht so recht, zumindest werden diejenigen Toten nicht mitgezählt, die verschüttet sind. Die Zahlen gelten aber als einigermaßen verlässlich. Danach sollen bislang mehr als 15.000 Zivilisten, vor allem Kinder und Frauen, getötet worden sein. Es wurden zwar einige Kommandeure getötet, die Führung der Hamas im Gazastreifen jedoch nicht. Hamas-Chef Yahya Sinwar, Izz el-Den, der Kommandeur der al-Qassam-Brigaden, und sein Stellvertreter Marwan Assa, befehligen noch die Hamas-Kämpfer, deren Zahl auf 30.000 bis 50.000 geschätzt werden. Das destruktive Ausmaß der Bombardierung wird deutlich, wenn in den ersten 5 Tagen 6000 Bomben mit einem Gewicht von 4000 Tonnen über Gaza abgeworfen wurden.
Bekannt wurde jetzt, dass die IDF Künstliche Intelligenz einsetzen, um die Ziele für die Luftangriffe im Gazastreifen auszuwählen, wie die israelischen Magazine +972 Magazine und Local Call aufgrund von Gesprächen mit früheren und noch aktiven Geheimdienstmitarbeitern berichten. Man wusste es, die Bombardierungen – täglich hunderte – sind genau geplant und kalkuliert, der Tod von Zivilisten wird kalt berechnend in Kauf genommen. Gesprochen wird von einer „Massenanschlagsfabrik“, weil gegenüber früheren Kriegen dieses Mal ebenso Wohnhäuser, öffentliche Gebäude, Infrastruktur und Hochhäuser bombardiert wurden, die nach IDF „Machtziele“ (“matarot otzem”) sind.
„Alles ist beabsichtigt. Wir wissen genau, wie viel Kollateralschaden es in jedem Haus gibt.“
Ein Informant sagte, die Bombardierung von „Machtzielen“ habe früher einen „Schock“ in der palästinensischen Bevölkerung auslösen sollen, um Hamas unter Druck zu setzen. Das Militär verfüge über Dateien „für die meisten potenziellen Zielen im Gazastreifen – einschließlich Wohnhäusern -, in denen die Zahl der Zivilisten angegeben ist, die bei einem Angriff auf ein bestimmtes Ziel wahrscheinlich getötet werden. Diese Zahl wird berechnet und ist den Nachrichtendiensten der Armee im Voraus bekannt, die auch kurz vor einem Angriff ungefähr wissen, wie viele Zivilisten mit Sicherheit getötet werden.“
Der Kollateralschaden tritt nicht zufällig ein oder ist unerwünscht, er wird einkalkuliert. So soll in einem Fall das Militärkommando die Tötung von hunderten Zivilisten bewusst gebilligt haben, um nur einen Hamas-Kommandeur auszuschalten. Zu beobachten sei, dass die Zahl der Zivilisten, die bei einem Luftschlag auf ein Ziel bewusst in Kauf genommen wird, von Dutzenden oder Hunderte angestiegen sei.
Nach einem Informanten sollen die Streitkräfte genau wissen, wen und wie viele sie als „Beifang“ töten oder verletzen: „Nichts geschieht zufällig. Wenn ein dreijähriges Mädchen in einem Haus in Gaza getötet wird, dann deshalb, weil jemand in der Armee entschieden hat, dass es keine große Sache ist, sie zu töten – dass es ein Preis ist, der es wert ist, bezahlt zu werden, um [ein anderes] Ziel zu treffen. Wir sind nicht die Hamas. Das sind keine zufälligen Raketen. Alles ist beabsichtigt. Wir wissen genau, wie viel Kollateralschaden es in jedem Haus gibt.“
Das mag übertrieben sein, schließlich müsste das Militär in Echtzeit kontrollieren können, wer sich gerade in einem Gebäude aufhält. Die Autoren weisen darauf hin, dass ein Grund für die gestiegene Akzeptanz eines hohen Kollateralschadens auch der Einsatz des auf Künstlicher Intelligenz beruhenden Systems Habsora (Gospel) sein dürfte, das automatisch und in großer Geschwindigkeit Ziele für Angriffe vorschlägt – und vielleicht oft auch danebenliegt. Die Ziele werden automatisch angegeben und dann offenbar in einer Checkliste abgetragen. Angegeben werde auch immer der zu erwartende Kollateralschaden. Dazu gibt es dann vom Kommando Anweisungen wie „Kollateralschaden 5“, so dass Ziele angegriffen werden dürfen, wodurch bis zu 5 Zivilisten getötet werden können. Das sei die Umsetzung der Dahiya-Doktrin.
Geschwindigkeit und Quantität der Zerstörung zählt
In den ersten 35 Tagen wurden so 15.000 Ziele angegriffen, viel mehr als in früheren Kriegen. Nach einem IDF-Sprecher werden mit Habsora Ziele für Präzisionsschläge erzeugt, „die dem Feind großen und Zivilisten minimalen Schaden zufügen. Hamas-Mitglieder sind nicht immun, egal, wo sie sich verstecken.“ Zu entscheiden und handeln nach Künstlicher Intelligenz dürfte den Militärs dazu dienen, die Angriffe zu legitimieren, weil sie doch rational und mathematisch präzise ausgewählt worden seien. Man kann sich hinter der Maschine verstecken.
Ein früherer Geheimdienstmitarbeiter bezeichnete es als „Massenanschlagsfabrik“, es gehe dabei um Quantität und Geschwindigkeit wie in einer Fabrik, nicht um Qualität. Damit würden vermehrt Angriffe auf Wohngebäude gemacht, in denen auch nur ein Hamas-Kämpfer lebt. Nach Aussagen von Bewohnern des Gazastreifens, die von den Autoren befragt wurden, seien aber auch viele Wohlhäuser bombardiert worden, in denen kein, zumindest kein bekanntes Hamas-Mitglied lebte.
Ein Informant erklärte, nach dem 7. Oktober sei die Devise gewesen, möglichst viele Hamas-Mitglieder zu töten, weswegen die Regeln zur Vermeidung von zivilen Opfern aufgeweichter wurden. So wurden beispielsweise Orte bombardiert, weil ungefähr dort eine Handysignal ausgemacht wurde, um Zeit zu sparen. Das würde alles im Gegensatz zu früheren Protokollen gehen, das Militär versuche damit gegenüber der israelischen Öffentlichkeit Erfolge zu demonstrieren, um den ramponierten Ruf nach dem 7. Oktober zu verbessern. Neben genuin militärischen oder taktischen Zielen wie Waffenlager, Kommandozentralen, Raketenabschuss anlagen etc. und den oben genannten „Machtzielen“ richteten sich die Angriffe auf unterirdische Ziele wie Tunneleingänge, wobei auch die Häuser über und neben diesen zerstört werden können, sowie Wohnhäuser, in denen ein Mitglied von Hamas oder vom Islamischen Dschihad vermutet wird, was auch zur Vernichtung ganzer Familien führt, die keine Verbindung zu den Militanten haben.
In den ersten Tagen war „Machtziele“ die Hälfte der angegriffenen Ziele. Früher war es Vorschrift, die Bewohner zuvor zu warnen und nur leere Gebäude zu bombardieren, das sei jetzt nicht immer oder nicht wirklich geschehen, was vielen Menschen das Leben gekostet habe. Der Stabschef der Luftwaffe, Omer Tishler, erzählte Journalisten alle Angriffe hätten ein legitimes militärisches Ziel, sagte aber auch, dass ganze Stadtviertel „in großem Ausmaß und nicht auf chirurgische Weise“ bombardiert wurden.

In praktisch allen Gebäuden ließe sich etwas von Hamas finden, man könne also alles bombardieren: „Wenn es um Machtziele geht, ist aber in den meisten Fällen klar, dass das Ziel keinen militärischen Wert hat, der einen Angriff rechtfertigt, der ein ganzes leeres Gebäude mitten in einer Stadt mit Hilfe von sechs Flugzeugen und tonnenschweren Bomben zum Einsturz bringen würde.“ Der Schaden für Hamas und Co. sei bislang relativ gering, das wirkliche Ziel sei, so die Informanten explizit oder indirekt, der Angriff auf die Zivilgesellschaft. Der Bevölkerung soll in Angst und Schrecken versetzt und gezeigt werden, dass die Hamas die Situation nicht mehr kontrollieren kann.
Für KI-basierte Überwachung und Auswahl der Ziele ist der jetzige Gaza-Krieg auch ein Testfeld. Israel ist ein Hightech-Waffenproduzent, das an der „Front“ Systeme entwickelt, um sie dann auch über Start-ups mit Reservisten herzustellen und zu verkaufen. Allerdings hat der 7. Oktober die Schwäche der israelischen Hightech-Sicherheits- und Überwachungssysteme offenbart. Gut möglich, dass man deswegen besonders darauf erpicht ist, die Technik zu optimieren.
Und man muss auch davon ausgehen, dass die KI-gestützte Zerstörungsmaschine in Zukunft autonom und in Echtzeit darüber entscheiden wird, welche Ziele von autonomen Kampfflugzeugen und Drohnen angegriffen werden. Je nach eingebautem „ethischen“ oder kriegsrechtlichen Vorgaben, werden dann Kollateralschäden in Kauf genommen werden. Nach den Schilderungen von +972 Magazine und Local Call ist es jetzt schon egal, ob Menschen noch dazwischengeschaltet sind.
Der Beitrag Israel führt KI-gestützten Krieg in Gaza: Ursache für die hohe Zahl getöteter Zivilisten? erschien zuerst auf .